Mustersprache:
Was ist das?
Die Mustersprache des Commoning ist eine Zusammenführung von erprobtem Erfahrungswissen zu Commoning aus aller Welt. Sie wird kontinuierlich verfeinert und weiterentwickelt und von vielen Menschen in der Praxis als Inspiration genutzt.
Auf dieser Seite erfährst Du etwas über die Geschichte und Methodologie von Mustersprachen allgemein, und wie es zu der Mustersprache des Commoning kam.
Mustersprache:
die Anfänge
Allgemein gehen Mustersprachen auf den Architekten Christopher Alexander zurück. Seit den 1960er Jahren erforschten er und seine Kolleg:innen, welche baulichen Elemente einen Raum, ein Haus oder eine Region lebendiger machen als andere. Sie gingen davon aus, dass es einerseits immer wieder ähnliche Herausforderungen gibt, zum Beispiel wo im Raum die Türen geschickt platziert werden. Und dass für diese immer wiederkehrenden Probleme in aller Welt ähnliche Lösungen gefunden werden. Die Idee der Muster war geboren.
Muster sind also auf immer wieder auftretende Problemstellungen ausgerichtete Beschreibungen des Kerns tragfähiger und erprobter Lösungen. Dabei sind sie nicht nicht als Blaupause gemeint, als genaue Beschreibung genau einer Lösung, die dann überall angewendet werden kann. Sie sind vielmehr als Inspiration oder Wegweiser zu verstehen, und so kann eine Lösung millionenfach verwendet werden, ohne jemals die exakt gleiche Gestalt zu haben. Solche Muster heißen dann zum Beispiel *innenliegende Fenster*, *Leben überblickende Fenster*, *halbversteckte Gärten* oder *Teppich aus Licht und Dunkelheit*. Muster beziehen sich immer auf Probleme in vergleichbaren Zusammenhängen, also beispielsweise beim Gemüseanbau, Durchführung von Projekten, Pflege älterer Menschen, oder eben im Commoning. Denn die Probleme sind für eben diese vergleichbaren Zusammenhänge typisch und existieren möglicherweise außerhalb dieser gar nicht. Und in der Tat ist die Methodologie der Mustersprache bereits in vielen Bereichen etabliert – es gibt Mustersprachen in der Architektur, in der Software-Programmierung, für die Transformation von Unternehmen, für Blues-Musik und vieles mehr.
Wesentlich dabei ist, dass Muster nicht ausgedacht sind oder erfunden werden, sondern immer in der gelebten Praxis gefunden werden. Sie werden aus dem schier endlosen Sand der Realität gesiebt, oder eben geschöpft, wie es in der Fachsprache heißt (pattern mining im Englischen). Was dabei als gelingende Lösung gelten kann, entscheidet sich am Grad der Lebendigkeit, der den Dingen innewohnt. Und dafür hat Alexander den “Spiegel des Selbst”-Test entwickelt. Über Jahrzehnte führte er mit seinen Kolleg:innen diesen Test mit tausenden von Menschen aus unterschiedlichen sozialen und kulturellen Kontexten durch. Die Teilnehmenden wurden beispielsweise gebeten, zwischen einem klassischen Salzstreuer und einer Ketchup-Flasche zu wählen. Die Wahl sollte nicht hinsichtlich Nützlichkeit, Geschmack oder Designvorlieben getroffen werden, sondern in Bezug auf intuitive Resonanz. Alexanders Frage zielte darauf ab, welcher der beiden Gegenstände ein besseres Bild des eigenen ewigen Selbst in seiner Ganzheit spiegeln würde. In der Regel fielen die Ergebnisse mindestens im Verhältnis 80 zu 20 aus. Aus dieser Resonanz des Selbst schloss auf die Lebendigkeit von Strukturen: Mehr Resonanz heißt mehr Lebendigkeit.
Für sich genommen können Muster zwar durchaus hilfreich sein, wirklich aussagekräftig werden sie aber erst durch die Verknüpfung von verschiedenen Mustern zu einer Mustersprache. Helmut Leitner (2015: 27) verdeutlicht dies mit Blick auf Worte und Sprachen: “So wie die im Lexikon verzeichneten Worte erst im Gefüge ihrer ‘regelhaften’ Beziehungen ihre Ausdruckskraft gewinnen und zur Sprache werden, so werden einzelne Muster erst im Gefüge der anderen Muster und ihrer funktionellen Beziehungen zu einem ausdrucksfähigen Mittel der Gestaltung, zu einer Mustersprache”. In einer Mustersprache stehen die unterschiedlichen Muster also in Beziehung, sind sie sich nah und verweisen also aufeinander, werden sie als “Anschlussmuster” bezeichnet. Und Muster können auch in anderen enthalten sein, so wie ein Wald Bäume enthält. In diesem Fall gilt der Baum als spezifisch (oder “untergeordnet”) dem Wald gegenüber und der Wald dem Baum gegenüber als generisch (oder “übergeordnet”).
Die Mustersprache
des Commoning
Den Anfang für die Mustersprache des Commoning haben Silke Helfrich und David Bollier gemacht. Sie haben also die Mustersprachen-Methodologie auf die sozialen Praktiken des Commoning angewandt – also, vereinfacht gesagt, auf bedürfnisorientierte Selbstorganisation auf Augenhöhe. Die Muster des Commoning sind also aus der vielfältigen und in jedem Zipfel der Erde vorfindlichen Welt der Commons geschöpft. Dabei ist kein Commons identisch mit einem anderen und gleichzeitig haben alle Commons Gemeinsamkeiten. Muster und Commons – das passt also gut zusammen.
Commons “existieren, sie verändern sich – heute wie seit Tausenden von Jahren. Es gibt sie in Dörfern und Städten, im Süden und im Norden, in ursprünglichen, überschaubaren Communities sowie in hochmodernen, unüberschaubaren Cyber-Gemeinschaften. Existierende Commons umfassen manchmal einige Dutzend Menschen, manchmal einige Zehntausend” (Helfrich & Bollier 2019: 19). Das ist also der Kontext der Mustersprache des Commoning: die unzähligen Zusammenhänge, in denen Commoning gelebt wird. Und so ist diese Mustersprache letztlich eine über soziale Prozesse, über das Miteinander von Menschen und ihrer (menschlichen und mehr-als-menschlichen) Mitwelt. Das bedeutet natürlich, dass es kulturelle und geographische Besonderheiten gibt. Commoning sieht dort wo du lebst sicher anders aus als woanders. Aber möglicherweise unterscheiden sich die auftretenden Herausforderungen oder die Lösungskerne gar nicht so sehr. Und Commoning weist heute auch andere Formen auf als früher. Das gilt es in der Mustersprache des Commoning anzuerkennen – und deswegen ist sie, wie Commoning auch, niemals fertig, sondern immer im Werden.
Die Mustersprache des Commoning gibt es inzwischen auch als Kartenset, mit dem Du Deine eigenen Commoning-Prozesse reflektieren kannst, mit deren Hilfe Du Wissen weitergeben kannst und von denen Du Dich für Veränderungsprozesse inspirieren lassen kannst. Silke Helfrich und David Bollier haben die von ihnen geschöpften Muster des Commoning grob in drei Bereiche gegliedert: “Soziales Miteinander”, “Selbstorganisation durch Gleichrangige” und “sorgendes & selbstbestimmtes Wirtschaften”. Sie umfasst also vor allem die Bereicht des Sozialen, der Governance und des Wirtschaftens. Eigentlich bräuchte es noch weitere Bereiche, zum Beispiel die Beziehungen zu unserer Mitwelt, die rechtliche Sphäre und auch unser Inneres. Daran arbeiten wir gerade. Möchtest Du zur Verfeinerung und Erweiterung der Mustersprache beitragen? Dann findest Du alles wichtige hier.
Mehr über die Mustersprache des Commoning erfahren kannst Du im Buch “Fair, frei und lebendig: Die Macht der Commons” von Silke Helfrich und David Bollier (2019) oder im Aufsatz “Mustersprache des Commoning: Theorie, Methodik, Praxis” von Johannes Euler und Sigrun Preissing (2022). Mehr über Mustersprachen allgemein findest Du in “A Pattern Language: Towns, Buildings, Construction” von Christopher Alexander und Kolleg:innen (1977) und im vierbändigen “The Nature of Order”, ebenfalls von Alexander (2002 bis 2005). Auch die Arbeiten von Helmut Leitner – “Pattern Theory: Introduction and Perspectives on the Tracks of Christopher Alexander” (2015) und “Mit Mustern arbeiten: Eine Einführung” (in “Die Welt der Commons” von Helfrich und Bollier, 2015) – sind sehr empfehlenswert.